Kunst schafft Neuorientierung

Eine Erzählung zum Nachdenken
(Lesezeit ca. 10-15min)

Von einem der auszog, die echte Kreativität zu finden

Kunst schafft Neuorientierung
Mein natürlicher Antrieb zur Selbstreflexion

Fortsetzung der Erzählung „Fässer voller Leidenschaft – Mit dem Pinsel ins Herz“

Ja, in meiner ersten Geschichte erzählte ich davon, wie mich der Pinsel nachhaltig ins Herz traf, dass die Berührung mit der Kunst und die Erfahrung, mich zum ersten Mal selbst unmittelbar auszudrücken, irgendetwas Nachhaltiges auslöste, dass sich noch länger einer Klarheit entzog. Es war schön, aber einfach noch nicht beschreibbar für mich. Es fühlte sich nur durchdringend und wohltuend an, ich wollte mehr von diesen kleinen, künstlerischen Zeitinseln, die mich irgendwie von destruktiven, bedrückenden Dingen, rationalem Ernst, kalter Logik, nüchterner Sachlichkeit, fremden Erwartungen oder Restriktionen wegbrachte. Eine Art kleine, kreative Auszeit. Kein Hobby, sondern Zeit mit mir selbst, die notwendig zu sein schien.

Nach der Schulzeit folgte eine längere Orientierungssuche. In dieser Phase wusste ich noch nicht so recht weiter, doch ich hatte immer den Willen, die Motivation und die Kraft, irgendetwas dagegen zu tun oder etwas zu verändern, um mich ein Stück weiter zu bringen. Genau daraus folgten auch vielversprechende, selbstgewählte Ansätze, was in einem gestalterischen Studium mündete. Damals und auch später wurde mir allerdings langsam immer klarer, dass ich auf jegliche Art von Fremdbestimmung, auf Erwartungen oder Anforderungen von außen sowie auf vorgefertigte, berufliche Bahnen, in denen ich mich versuchte, mit Abwehr reagierte.

Zu dieser Zeit bekam ich durch eine einfühlsame Person eine Anregung, den Dingen, die ich selbst noch gar nicht in Worte fassen konnte, doch einmal eine andere Aussage oder Ausdrucksform zu geben, um hier vielleicht weiterzukommen und Klarheit zu gewinnen. Nicht durch Worte, die ich ja noch nicht fand, sondern durch einen intermedialen Transfer, das heißt von meinen inneren, noch kaum durch Sprache erklärbaren Empfindungen, hinein in die sprachlose Form von bildlichem Gekritzel oder freien Zeichnungen. Was dabei herauskam, hatte rein gar nichts mit meinen Ambitionen zu tun, aus Farben etwas in ästhetischer Form auf Leinwände zu zaubern. Allenfalls konnte man ein wenig erahnen, dass ich schon seit der Kindheit ganz gut mit Stiften umgehen und zeichnen konnte.

Ich war von diesen Krickel-Krakel-Arbeiten selbst sprachlos, doch es war der Anfang eines langen Erkenntnisprozesses, der mich im Laufe von Jahren zu einer immer klarer verspürten Überzeugung brachte. Dieser Prozess hält heute noch an und verschafft mir gerade in schwierigen Momenten oder Konflikten durch die Selbstachtung eine gute Resilienz. Doch ich wusste damals, dass ich noch lange nicht am Ziel war, denn ich konnte meine Ambitionen weiterhin nur erahnen. Es folgten einzelne Bilderausstellungen, da ich mich immer wieder mal dem Malen hingab. Erstaunt hat mich auch damals schon, dass ich bei diesen Gelegenheiten eher mit Menschen über andere, oft persönliche Themen in längere, gute Gespräche kam, als über Kunst oder Bilder zu reden.

In den Folgejahren ergab sich für mich eine Möglichkeit, in einem Autohaus für sehr exklusive Oldtimer-Fahrzeuge zu arbeiten, wo ich verantwortliche Aufgaben übernahm. Hier verbrachte ich ein paar Jahre als Allround-Assistent. Nebenbei malte ich ab und zu mal wieder, was mich immer ein wenig erdete, sehr gut entspannte und irgendwie innerlich reinigte. Es tat mir einfach hin und wieder sehr gut und ich konnte mich in dieser Distanz immer wieder auf mich besinnen, was mich persönlich wirklich beschäftigt und bewegt. Dieser Job war ebenfalls eine schöne, spannende und außergewöhnliche Erfahrung. In den Jahren kam ich mit vielen, ganz unterschiedlichen Menschen in Kontakt. In diesem Geschäft handelte man nicht einfach nur mit Autos, sondern eher mit manchmal einzigartigen Kunstwerken inklusive der zugehörigen, individuellen Geschichten dahinter. Da man merkte, dass ich wohl das Feingefühl und Gespür an den Tag legte, mit diesem recht speziellen Klientel auch menschlich umzugehen, bot man mir eine berufliche Entwicklungsmöglichkeit an.

Ich war natürlich erfreut darüber, doch parallel bemerkte ich, dass der Verkauf lebloser Gegenstände niemals ein lebensfüllendes Ding werden konnte. Es meldete sich, auch in den kleinen, künstlerischen Auszeiten, immer wieder meine innere Stimme, dass ich dies wohl nicht mehr lange tun kann, dass ich eine anderen Richtung einschlagen muss, die mir persönlich, meinen Interessen und Veranlagungen mehr entsprach. Rückblickend auf diese Zeit wollte ich mich nicht mehr unterordnen und wusste, dass ich natürlich einen Preis dafür zahlen müsste, wenn ich nicht irgendwann etwas verändere. Diese Erkenntnis verdrängte ich lange und nahm sie anfangs nicht ganz ernst, doch dann wurde sie immer klarer. Das Ganze ließ mir letztlich keine Ruhe mehr. Die Entscheidung reifte sehr lange, aber eine tiefe innere Stimme sorgte dafür, dass ich meinem Chef für alles sehr dankte, aber sehr entschlossen das Angebot ablehnte. „Puh“, es fühlte sich gut und völlig richtig an, und zugleich ganz schlecht. Ich wusste ja damals noch gar nicht, wie es weitergeht.

Im Zuge dieses beruflichen Abenteuers kam es zu einem großen Schlüsselerlebnis. Es war die Krankheit meiner Großmutter, der Krebs, der sie letztlich nur ein Jahr später, 2009, das Leben kostete. Ich fuhr sie des Öfteren ins Klinikum zu Untersuchungen. In der Station begegnete man vielen Menschen, die schwach und von Krankheit sehr gezeichnet waren. Es waren neue Eindrücke, die mich tief bewegten, als ich beispielsweise schwer an Lungenkrebs erkrankte Patienten sah, wie sie vor dem Eingang unentwegt und scheinbar vor dem eigenen Schicksal endgültig kapitulierend und ziemlich entkräftet weiter rauchten. Im Zuge dieser häufigen Fahrten über ein Jahr hinweg kam es zu wöchentlichen Bestrahlungen und Chemotherapien, denen sich meine Oma im benachbarten Radiologie-Zentrum unterzog.

Mein gestalterisches Faible meldete sich, als ich in den Räumlichkeiten immer wieder auf sie warten musste. Es war ein Gebäude, dessen Atmosphäre an den ausladenden Wartebereich eines Arbeitsamtes erinnerte, mit langweiligen Wandfarben und Deckenbeleuchtungen, wie man sie auch in Büros, Krankenhäusern, Pflegeheimen oder Behörden überall findet. An den langen und großen Wandflächen fanden sich jedoch eine ganze Menge, etwas düster wirkende Bilder einer regionalen Künstlerin. Im Zuge einer meiner Besuche kam es dazu, dass ich bei einem Arztgespräch dabei war, dass meine Mutter mit dem Chefarzt Ihrer Mutter, meiner Oma, führte. Inhalt war, dass ihr mit den Behandlungen zwar insgesamt ein weiteres Lebensjahr geschenkt wurde, doch der Preis war zu hoch und die Aussichten zuletzt äußerst schlecht. Uns wurde nun klar, dass es bald zu Ende gehen würde.

Ich sprach den Arzt auf die räumliche Atmosphäre im Behandlungszentrum und die etwas deprimierenden Bildwerke an. Er nickte zustimmend und entgegnete mir, dass sie auch immer wieder gerne Künstlerausstellungen durchgeführt haben und was man sich dahingehend doch ganz gerne wünschte, auch im Sinne eines positiven Einflusses auf die Patienten. Diese todkranken Menschen seien häufig in ihrem Fokus so sehr mit sich und ihrer schweren Krankheit beschäftigt, dass ihre Wahrnehmung für das, was sie umgibt, sehr eingeschränkt ist. Manchmal sind sie in sich gefangen, nicht erreichbar. Wenn man es mit Kunst schaffen könnte, wenn auch nur für einen Moment, diese Patienten einmal kurz von Ihren trüben Gedanken wegzubringen, dann wäre das ein Erfolg. Der Arzt meinte noch, dass dies mit den derzeitigen Bildern jedenfalls noch nicht gelungen ist, man wünsche sich hier einmal etwas Anders.

Es überkam mich sofort ein großer Reiz und der enorme Antrieb, mich dieser Aufgabe sofort anzunehmen, das Thema Kunst, Farbgestaltung und Gesundheit irgendwie zusammenzubringen. Ich bot dem Chefarzt an, dass ich gerne eine Ausstellung machen und mit den Bildern auch mehr als Kunst bewirken wollte. Sehr vage erahnte ich für mich schon da ein Art dienstleistungsorientierte Kunst im Sinne eines „psychologischen“ Gesundheitsdesigns, um durch mehr oder weniger gezielte Bilder oder Flächen persönliche Stimmungen, Gedanken oder menschliche Empfindungen mit Farben, Szenerien, Strukturen usw. in positiver Hinsicht zu unterstützen oder anzuregen. Gänzlich klar war mir zu diesem Zeitpunkt nur, dass ich wohl viele, großformatige Bilder benötigen würde, die ich noch gar nicht hatte, geschweige denn die Räumlichkeiten, um diese anzufertigen. Ich zeigte danach ein paar meiner Farbexperimente, wir vereinbarten einen Termin und die improvisierte, monatelange Produktion wurde in einer privaten Wohnung zwischen Küche und Wohnzimmer hochgefahren. Am Ende waren es über dreißig Bilder!

Der Grundgedanke, der mich dabei so faszinierte und antrieb, war: Ich wollte keinesfalls einfach nur „meine“ Kunst schaffen, sondern damit auf etwas gezieltere Weise einen Bezug zum wahrnehmenden Menschen herstellen, zu dem was ihn gedanklich oder emotional bewegt, was ihn vor allem sich selbst ein Stück näher bringen könnte. Ich wollte durch Farben, Inhalte, Formen, Strukturen die Menschen berühren, um gewisse Stimmungen, Assoziationen, Gefühle oder Gedanken zu fördern, so dass später daraus bestenfalls eine Art positive, konstruktive Selbstreflexion, ein Spiegel der hilfreichen Selbsterkenntnis dabei herauskommen könnte. Große Ziele verspürte ich da!

Ich vernahm erstmals den Reiz, dass man mit Farben, Strukturen und Formen doch mehr machen kann, was mir aus der Innenarchitektur und einigen Gesprächen mit Ärzten heraus schon ein wenig geläufig war. In der Folgezeit formten sich meine ersten Ideen, was noch so alles an Themen, Möglichkeiten und Verbindungen dahinter entstehen könnte. Dass mich das alles immer mehr faszinierte und einen Sog erzeugte, hatte auch eine weiteren, sehr prägenden Grund: Jemand in meiner Familie arbeitete intensiv mit Menschen, agierte später über viele Jahre als Trainer in Unternehmen. So kam ich schon seit der Jugend mit Themen der Persönlichkeitsentwicklung und Kommunikation in Kontakt, erfuhr nebenbei so einiges darüber und kam auch hin und wieder direkt damit in Kontakt. Daher kam nun die besondere Affinität in die Richtung, diese Bereiche zu verknüpfen, also gewisse persönlichkeitsbezogene Erfahrungen und Erkenntnisse, kommunikative Aspekte sowie kundenorientierte Ziele zu verbinden und dies mit der Malerei und Gestaltung wirkungsvoll aufzugreifen.

Das prägte mich von da an in meinen weiteren Bestrebungen, führte mich letztlich in die Selbstständigkeit, wobei ich mich im medizinischen Bereich umschaute und für einzelne Arztpraxen kleine Konzepte entwickelte, z.B. für Wartebereiche, in denen Patienten ängstlich verweilten. In den nachfolgenden Jahren war es ein Auf und Ab, ich malte, verkaufte hin und wieder etwas, doch ich kam für mich nicht so recht weiter. Parallel wuchs neben dem Malen die Neugier auf viel tiefere Einsichten in diese Themen, die mit den kommunikativen Feinheiten des Zwischenmenschlichen, der Entwicklung der eigene Persönlichkeit und dem Bezug zu sich selbst, einhergehen. Dies schien mir die Grundlage für so Vieles im Leben zu sein und alles schien irgendwie wechselseitig ineinanderzugreifen, wie Lego-Steine zueinander zu passen.

Ich fand es immer spannender, mich mit den persönlichen Ressourcen und Emotionen eines Menschen, genauer gesagt mit persönlichen Bedürfnissen, Gedanken, Gefühlen, Sinneswahrnehmungen und damit einhergehenden physischen oder auch gesellschaftlichen Aspekten zu beschäftigen. Dazu gehören auch die dem Menschen zur Verfügung stehenden Fähigkeiten, diese Dinge in Bezug zu sich selbst, zu Anderen und zur Umwelt sinnvoll oder fördernd einzusetzen. Es ging auch darum, schöpferisch zu sein, also in verschiedenen Lebensbereichen oder -situationen, auch in Krisen und schwierigen Phasen, allein aus sich selbst heraus Veränderungen und neue Orientierungen anzustreben, d.h. Lösungswege nicht allein darin zu suchen, was die Außenwelt vorgibt oder anbietet. In dem Ganzen steckte für mich gefühlt aber noch unendlich viel mehr. Ich assoziierte damit immer mehr Begriffe wie Selbstwirksamkeit, Selbstachtung, Resilienz, Kommunikation, und vor allem die natürliche Ur-Ressource der Kreativität, meinem eigentlichen Kernthema.

Da mich durch die Beobachtung gesellschaftlicher Entwicklungen insbesondere das Thema der natürlichen, jedem Menschen angeborenen und befähigenden „Werkzeuge“ mehr und mehr beschäftigte, suchte ich nach klaren Bausteinen, um meinen noch etwas unausgegorenen Ideen und Vorstellungen ein erstes Grundgerüst, einen Rahmen zu geben. Dies führte mich nach längerer Recherche nicht in therapeutische oder esoterische Bereiche, sondern zu einer anerkannten Coaching-Ausbildung, die sich eben nicht so sehr der Analyse eines Problems widmet, sondern eher den bereits vorhandenen Möglichkeiten, die Jeder in sich trägt, um für sich Lösungsansätze zu entwickeln. Dabei war mir die unbedingt notwendige Abgrenzung zur professionellen, psychologischen Unterstützung oder Behandlung bestimmter Symptome und Krankheitsbilder von Anfang an äußerst wichtig.

Dies war letztlich exakt der Baustein, der zu meiner Idee passte, nicht umgekehrt. Ich war mit dieser Ausbildung nicht am Ziel. Doch es war ein solider Anfang für mein Vorhaben, Menschen über das äußerst effektive Mittel der Kunst mit sich und ihren natürlichen und individuellen Ressourcen zu verbinden, um bestimmte Kompetenzen für sich zu entwickeln. Eine professionelle, erfahrene Unterstützung auf meinem weiteren Weg hatte ich ja glücklicherweise schon in der Familie. Mein Kernthema, das mich am meisten fasziniert, ist und bleibt auch heute die Kreativität, die jedoch mit vielen anderen, entscheidenden Faktoren des Menschseins sehr eng verzahnt ist.

Zum ersten Mal sah ich ein klares Bild vor mir, wie das alles grob zusammengehen könnte und was meine Hauptaufgabe im Leben zu sein schien, wenn es auch noch ein längerer Weg bis dahin werden dürfte. Der hauseigene Mentor bestärkte mich unentwegt dabei und wir erarbeiteten und diskutierten zusammen sehr viele Zusammenhänge, sowie Ansätze, Ideen und Themen, die das Ganze mehr und mehr untermauerten und füllten.

Wie ich mich so über diese Erkenntnisse und die Faszination von Kreativität auch anderen Themen bzw. Bereichen langsam annäherte, wo sich für mich überall Verbindungen zeigten, darauf möchte ich in den nächsten Erzählungen schrittweise eingehen. Es war jedenfalls wie eine tiefe, wahrhaftige Erkenntnis, als mir auf einmal klar wurde, welch stabilisierendes und zukunftsträchtiges Potenzial in diesen oft unerkannten Ressourcen oder „Werkzeugen“ steckt, wie sie in gewisse Bereiche hineinwirken, jedoch leider oft noch nicht gesehen oder richtig genutzt, ja meist sogar verdrängt werden.

Natürliche Kreativität ist, so denke ich, nicht nur eine Jedermann zugängliche Ressource, die uns gerade im Sinne des Wandels und der Zukunft zu einer neuen, notwendigen Säule in Leben, Gesellschaft und Wirtschaft erwachsen dürfte und der wir uns in Zukunft viel intensiver zuwenden sollten. Sie ist nebenbei, im Kontext mit dem Kunsterleben, auch eine der effizientesten Möglichkeiten, dem immer gewichtigeren Thema Stress zu begegnen. Und genau darin liegt eigentlich erst die große Chance, die elementare Grundvoraussetzung oder nötige Distanz und Ruhe zu gewinnen, um überhaupt Kreativität ins Leben zu lassen und die vermutlich goldene Ressource der sich wandelnden Zukunft, also die gesuchte Innovation, auch mit Rohstoff bedienen zu können.

Diese Distanz bildet auch erst die gute Basis, um zu lernen, mit den Entwicklungen, Veränderungen, Belastungen oder Widrigkeiten unser Zeit und auch den Begebenheiten und Herausforderungen des eigenen Lebens resilienter und selbstwirksamer umgehen zu können. Dazu scheint es keinen intelligenten Umweg über Methoden, Strategien oder Techniken zu geben. Für nachhaltige Entwicklung braucht es die Fähigkeit, einen regulierenden Bezug zu sich selbst zu gewinnen, den uns die Kultur, insbesondere die Kunst auf effektive Weise bietet. Was ich damit meine, das erfahren Sie demnächst.

Ich hoffe, Sie sind wieder dabei, das würde mich sehr freuen!

Peer Bökelmann