Eine Erzählung zum Nachdenken
Von einem der auszog, die echte Kreativität zu finden
Fässer voller Leidenschaft
Mit dem Pinsel ins Herz
„Wenn ich gewusst hätte, dass die Begegnung mit ein paar Holzfässern vor gut dreißig Jahren mein Leben nachhaltig beeinflussen würde, dann hätte ich damals darüber gelacht!“
Ich ahnte nicht, dass ich meine urtümlichen, mir noch nicht bewussten Bedürfnisse und Impulse aus meiner Kinderwelt mit ins Atelier eines Künstlers genommen habe. Es waren wohl meine kreativen Turbulenzen, die in meinem Kopf abliefen und hier zum Leben erweckt wurden.
„Was für ein Erlebnis!“
Es war das erste Mal, als ich eine kleine Oase, diesen irgendwie zum Verweilen und Tagträumen anstiftenden, vom Stadtlärm isolierten Hinterhof in einem Nürnberger Stadtviertel betrat. Es ist nun gut drei Jahrzehnte her, doch ich erinnere mich noch recht gut an dieses für mich sehr nachhaltige Erlebnis.
Über einen Treppenaufgang schritt ich durch eine Tür, die mich sogleich in große, offene, einladende und in wohlige Atmosphäre getauchte Räumlichkeiten führte, die sofort ein gutes Gefühl des Ankommens versprühten, obwohl ich zu der Zeit noch gar nicht wusste, wohin ich mich im Leben eigentlich bewegen wollte. Es war nur eine vage, von etwas Vorfreude begleitete Ahnung, was mich und die anderen Schulfreunde in diesem vier- bis sechswöchigen Praktikum meiner künstlerisch und gestalterisch ausgerichteten Abiturphase hier an Unbekanntem, Neuem erwarten könnte.
Meine Nase erreichten sofort sanfte, fast möchte ich sagen angenehme Gerüche von handwerklicher Arbeit, puren Materialien wie Holz, Papier, Farben, Malmitteln, Leim und anderen Dingen. Ich atmete dieses Umfeld sofort beim Betreten und zum ersten Mal bewusst ein. Ich fühlte etwas Vertrautes und emotional Berührendes, dass ich aber noch nicht näher für mich erfassen konnte.
Mein Augen erblickten ein paar größere, abgenutzte und von Farbresten gezeichnete Tische, die etwas verloren in dem nicht kleinen Atelier wirkten. Daneben einige Regale, viele gelagerte Rollen voller Papier, Leinwand, Behältern und anderen Dingen. Des Weiteren fanden sich in den Räumen diverse Staffeleien und in der Nähe der großen, hohen Altbaufenster ein paar Arbeitstische mit Werkzeugen und Materialien darauf. An diesen wurde scheinbar gerade etwas gewerkelt, geklebt, geschnitten, gerollt, grundiert oder sonst irgendetwas gewerkelt.
Zugleich bemerkte ich neben ein paar Auftragsarbeiten auf übergroßen Leinwänden, die senkrecht positioniert und halbfertig wieder auf die Hände des Künstlers warteten, die Ansammlung großer, auf dem Boden stehender Holzfässer. Als ich neugierig in diese hineinblickte, da sah ich etwas, dass mich persönlich zutiefst berührte, was ich mir damals jedoch noch nicht näher erklären konnte. In jeden dieser Fässer befand sich ein reines, unterschiedlich gefärbtes Pigment in so großer Menge, wie man es aus dem normalen Künstlerbedarf sicher nicht kennt. Was dabei augenscheinlich so faszinierte, war die Strahlkraft. So etwas habe ich noch nie gesehen, was da meine Netzhaut erstmalig berührte.
Es überkam mich dabei ein Gefühl, am liebsten in diese weichen Dünen voller Pigmente, in diese mich irgendwie völlig vereinnahmende Farbwelt, eintauchen zu wollen. Ultramarin, Phtaloblau, Lapis Lazuli, Neapelgelb, Zinnober, Ocker, Kobaltgrün, Sepia, Siena, Umbra, Kadmiumrot, Cyan, Magenta und viele andere mehr, ein Fest für meine Augen! Im Zusammenwirken mit den vielen anderen Dingen, die ich dort sah, verspürte ich erstmals einen noch völlig unklaren, aber umso spürbareren Sog des Schaffens in mir, der völlig frei nur aus mir selbst herauskam. Ein tolles, empirisches Gefühl war das. Ich produzierte von morgens bis abends Bilder ohne Ende wie in einem Rausch, ich konnte nicht mehr aufhören.
Das erste Mal im Leben stand ich in einem waschechten Künstleratelier und hatte nun die unglaubliche Möglichkeit, mich wochenlang auszuprobieren mit etwas, dass mir, bis auf ein paar Grundlagen und Rahmenbedingungen, eigentlich keine Grenzen setzte. Das war ungewohnt: Keine Erwartungen, kein Druck, kein Korsett, kein Stress, keine Leistungserwartung.
„Was war hier los und wozu das Ganze?“
Ich konnte diese, ich möchte fast behaupten, unfassbar wohltuende, prägende und inspirierende Erfahrung, Stimmung und unvergleichliche Atmosphäre einige Zeit auskosten und mittels vieler Pinsel, die ich dabei schwang, ganz tief in mein Herz schließen. Es ist etwas, was mich bis heute nicht mehr loslässt, ohne jedoch den großen Wunsch, unbedingt ein Künstler sein zu wollen. Es war wohl schon damals etwas für mich viel Entscheidenderes, dass mir aber erst in späteres Jahren bewusst wurde. Es war nicht das fertige, nach Anerkennung buhlende Bild oder das langsam hinzukommende Geschick in der Gestaltung. Nein, es war und ist heute noch der ganz individuelle, persönliche und unverblümte Ausdruck dahinter, die echte, authentische Reflexion meiner Selbst.
Es waren meine ersten Versuche, mit groben Pinseln, grundiertem Karton, Leinöl und strahlenden Pigmenten überhaupt etwas aufs Papier zu bringen. Doch letztlich fing ich da schon an, mich persönlich auszudrücken und irgendwie auf eine Reise zu begeben, deren Ziel ich im Leben lange nicht sehen konnte. Das ist heute heute natürlich anders.
Diese Wochen waren ein Erlebnis mit mir selbst, dass sich meinem rationalen Verständnis, einer Kontrolle oder Beschreibung lange entzog. Es war mehr ein berührendes Erlebnis und ich hatte es unmittelbar erfahren, mit all meinen offenen Sinnen, emotional wie kognitiv, mit Kopf und Herz gleichermaßen. War es nur die Faszination des Malens an sich?
Diese anfängliche Erfahrung formte später den zuerst unkoordinierten aber stetigen Antrieb, mehr als „nur“ Kunst daraus zu machen. Es drängte mich nach einigen Irrwegen, persönlichen Krisen, Erfahrungen und Schicksalen in die gestalterische Bildung und letztlich Stück für Stück auf einen langen Weg der Suche nach der angeborenen Ur-Ressource Kreativität, auf dem ich mich heute mit umso mehr Überzeugung befinde, der zudem wirklich Sinn macht und mich zugleich erfüllt. Dabei wurde langsam klarer, dass es dabei um viel mehr geht, als um einen innovativen „Ideenbrunnen“.
Welche Verknüpfungen in andere Bereiche und welche Bedeutungen ich bis heute darin für mich entdeckte, gerade in dieser herausfordernden Zeit, und was mich daran so unaufhaltsam reizt, dazu würde ich gerne in meiner nächste Erzählung einen ersten, kleinen Anfang finden.
Ich würde mich freuen, wenn Sie diese Stationen meiner Reise in Zukunft ein wenig begleiten möchten. Vielleicht kann es ja auch für Sie inspirierend sein.
Peer Bökelmann