Plötzlich wurde es ganz leise

Eine Erzählung zum Nachdenken

Wahrnehmung, der Impuls des Handelns

Plötzlich wurde es ganz leise

Unser Seminar ging zu Ende. Wir waren in guter Stimmung, es war ein erfolgreicher Tag. Anschließend saßen wir in einer behaglichen Umgebung des Hotels, in lauer Sommerluft des Abends. Es waren hoch dotierte Führungspersönlichkeiten, Chefs einiger Unternehmen, ein Arzt, zwei Anwälte, ein Architekt begleitet von einer mondänen Schönheit, die natürlich bewundert wurde und es auch wollte. Anwesend waren noch eine Sportlehrerin, gerade aus Paris zurückgekehrt, und ein Englischlehrer aus Kenia. Alle waren vereint an diesem Abend, der zuerst eine Beute der Eitelkeit wurde und später kam die Angst.

Gesprochen wurde von der schleichenden Inflation, der Corona-Krise, dem Krieg in der Ukraine, und den Grundstücksangeboten auf den Kanaren. Außerdem müsse man künftig auch weniger arbeiten und das Leben mehr genießen. Plötzlich sagte der Lehrer aus Kenia: „In unserem Land Tansania sind die Menschen meist arm aber glücklich und zufrieden. Ihr hier seid meist gut gestellt oder sogar reich, aber unglücklich und unzufrieden. Ihr macht doch wohl etwas falsch.“

Plötzlich herrschte Schweigen im Kreis, alle waren ganz still. Das vorherige, aktive Gespräch drehte sich im Wind. Die Musik im Hintergrund verstummte, einige Kerzen brannten noch und ihre Flammen verloren langsam ihre Glut. Wir sprachen vom Sinn des Lebens. Der Abend, der stimmungsvoll begann, wurde plötzlich ganz leise. Das Gefühl der Sinnlosigkeit des Lebens einiger Anwesenden kam zum Ausdruck. Manche Teilnehmer erwähnten, sie leiden schon sehr lange unter existenzieller Frustration. Das Karussell ihres Lebens kommt ihnen so unverständlich und sinnlos vor. Aus diesen Gründen steigen sie hin und wieder in die vergnügliche Ablenkung ein. Sie erwähnten, dass überall in ihrem Leben die Türen offen stehen zur Zerstreuung, schnellem Genuss, zum Ich und immer wieder Ich. Leider aber begegneten ihnen dabei überall Frust und Enttäuschung. So irren sie ständig durch das Spiegelkabinett auf der Suche nach etwas, was nicht bezahlbar ist: dem seelischen Luxus. Dabei wollen Manche noch ein gutes Gemüt, viel Erfolg, starke Liebe, Sicherheit auf allen Ebenen und Macht über andere Menschen. Plötzlich aber macht es irgendwann einmal „Klick“ und so Mancher erkennt, dass der Spiegel einen großen Riss bekommen hat, denn sie wollten zu viel.

Glücklich und zufrieden zu sein, geht das heute überhaupt noch, in einer Welt voller Angst und Ungewissheit, Bedrohung, Kälte, Herzlosigkeit, Hass, Machtmissbrauch und Krieg, erstarrter Gefühle, betrogener Hoffnung und quälender Gleichgültigkeit? Ich sage „Ja“ und gerne lade ich Sie zum 2. Teil meiner Geschichte ein, sie erzählt davon, welchen Gegenpol es dafür gibt. Ich habe ihn selber erfahren.

Renate Scharrer